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Die Abkehr vom Hörsaal

Die Abkehr vom Hörsaal

Jeder zehnte Job wird in den kommenden zwei Jahrzehnten der Automatisierung zum Opfer fallen. Das glaubt zumindest der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Andere sind mit ihren Prognosen weniger vorsichtig. Was im ersten Moment aber nach dystopischen Verhältnissen klingen mag, in der die Maschinen die Macht übernehmen, birgt bei genauerem Hinsehen im Gegenteil vor allem viel Potential – schließlich schafft die Digitalisierung Arbeitsplätze; komplexe, sowie räumlich und zeitlich flexible. Das könnten nach Experteneinschätzungen unter Umständen mehr Stellen sein, als zeitgleich auf dem Digitalisierungsaltar geopfert werden. Andere Stimmen bestreiten das mit Leidenschaft. Zukunftsforschung ist ein schwieriges Feld. Doch egal, wer Recht behalten wird: unstrittig ist, dass es gravierende Einschnitte geben wird. So ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass hier auch bei den Skeptikern ein Umdenken stattfindet, wenn Fließbandarbeiten automatisiert werden, während Arbeitgeber familienfreundlichere Home-Office-Angebote schaffen.

Rosige Zukunft nur unter Bedingungen

Damit die Zukunft sich aber eben in eine solch positive Richtung entwickelt, braucht es auch Veränderungen, wie das Umdenken hin zu zeitgemäßer Bildungspolitik. Die Digital Natives wachsen mit digitalen Endgeräten und der ständigen Vernetzung auf, sozusagen mit einer eigenen, selbstverständlichen Zweitsprache. Wer in seiner Kindheit noch vor dem Fernsehtestbild saß, hat diese Sprache zwar später möglicherweise flüssig zu sprechen gelernt, sie aber nicht mit der Muttermilch aufgesogen. Ein großer Vorteil also für die, die sowohl mit Bilderbuch als auch dem Tablet aufgewachsen sind. Denn wie im Eingangsbeispiel, geht es nicht darum, alles Analoge zu digitalisieren. Ein ausgewogenes Verhältnis scheint unverzichtbar, beispielsweise um die Grundlage für eine immer wichtiger werdende Medienkompetenz zu legen.

Experten händeringend gesucht

Der digitale Wandel wird aber nicht nur in der Nachwuchsarbeit vollzogen. Auch fertig ausgebildete Talente und Experten sind gefragter denn je. Dabei ist Deutschland eigentlich nicht schlecht aufgestellt. Der Anteil der MINT-Studenten ist im internationalen Vergleich der OECD-Staaten am höchsten. MINT-Fächer, also die aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, gelten als solche mit besonders hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Diesen positiven Trend lässt der neue Bildungsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erkennen. Zwar gebe es auch Schattenseiten, wie einen unterdurchschnittlichen Frauenanteil und eine geringe soziale Durchlässigkeit – eine Basis für die künftigen Herausforderungen komplexer, digitaler Themenfelder scheint aber gegeben. Das zeigt sich auch an der Individualisierung der Studiengänge. Während MINT-Absolventen tatsächlich nicht selten beklagen, nach dem Studium Anschlussprobleme in den Jobs zu haben, entwickeln sich immer häufiger besondere Ausbildungswege, die das künftige Profil der Studierenden weiter schleifen sollen.

So reagierte etwa die Hochschule Heidelberg auf die Tatsache, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten ein großer Teil der analogen Daten weltweit digitalisiert wurde; mit einem Studiengang, der sich dem Thema Big Data annimmt. Die LMU München betitelt ihr Data Science-Studium gar als Elitestudiengang.

Spezialisierung statt universitärem Einheitsbrei.

Trends erkennen und bedienen – nach diesem Motto scheinen immer mehr Hochschulen vorzugehen, etwa die TH Köln. Die Studiengänge „Digital Games“ und „Game Development and Research“ aus dem ausgelagerten Cologne Games Lab (CGL) hätten sicherlich vor wenigen Jahren noch viele als eigenbrötlerische Nerd-Schmieden abgetan. Mittlerweile ist das Medium „Game“ dem Nischendasein mit dem Kinder-Image entflohen. Spieleentwickler investieren in Titel mit Budgets, die teilweise Hollywoodblockbuster in den Schatten stellen. So betrugen die Entwicklungs- und Marketingkosten für GTA 5 astronomische 265 Mio. US-Dollar. Es brauchte nach Veröffentlichung nur einen Tag, mehr als das Dreifache wieder einzufahren.

Aber nicht nur die Unterhaltungsindustrie investiert in Games, auch wissenschaftliche Bereiche, wie die Medizin, entdecken einen Nutzen im digitalen Daddeln. So gibt es bereits sogenannte Serious Games, die krebskranken Kindern die Schmerzen lindern oder Senioren helfen, fit zu bleiben. Vielleicht gilt es als Aufbruchssignal einer neuen Lernwelt, dass vielen dieser spezialisierten Studiengänge das teilweise angestaubte Akademisierungs-Image abgeht. Im Cologne Games Lab werden die Professoren ab dem ersten Tag geduzt und bei den regelmäßigen Vorträgen oder Playtesting-Sessions kann man sich auch mal bei einem Kaltgetränk über neue Projekte unterhalten. Volle Hörsäle sucht man hier vergebens, das Konzept sieht kleine, kreative Einheiten vor.

Lehr-Rebellen

An der Code in Berlin möchte man ebenfalls „die Art und Weise verändern, wie im hochschulischen Kontext gelernt wird.“ Auch hier geht es ums coden, also das Programmieren – allerdings nicht so sehr mit Game-Bezug wie in Köln. Doch genau wie am CGL soll das Studium wenig zu tun haben mit der piefigen Vorstellung von Uni-Pflichtvorlesungen.

Oder wie wäre es mit dem Studiengang „Automobilinformatik“? In einer angenommenen Zukunft, in der autonomes Fahren zum Standard werden soll, können die Absolventen dieses Studiengangs in Landshut sich vorab ein möglicherweise gewichtiges Profil schaffen. Die Liste ist lang: Journalisten können sich auf Technik spezialisieren, BWL-Studenten auf die „digital Transformation“, das Begleiten und Führen von Unternehmen in die Digitalisierung.

Nicht nur positives Feedback

Jeder dritte Bachelorstudiengang bietet mittlerweile solch eine Spezialisierung. Insgesamt decken die MINT-Fächer wiederum rund ein Drittel der belegten Studiengänge in Deutschland ab. Das stößt nicht nur auf Begeisterung. Der Deutsche Wissenschaftsrat sieht in manchen Spezialisierungen gar eine Gefahr, da die Studierenden sich frühzeitig auf eine Richtung festlegen und so unflexibler werden. Über das Für und Wider lässt sich sicherlich streiten, eine neu gewonnene Kreativität durch die neuen Ausbildungswege ist aber offensichtlich. Eine Kreativität, die gefördert wird, etwa durch die Digital Hub Initiative, in der sich vielversprechende Talente vernetzen können, um so von den Erfahrungen und dem Knowhow etablierter Unternehmen oder interessierter Partner profitieren zu können.  

Dabei ist die Initiative nicht, wie man vermuten könnte, ein reiner Zusammenschluss kleiner Start-Up-Abenteurer. Im Gegenteil, will sie diese mit eingesessenen Mittelständlern und großen Corporates in Kontakt bringen. Auch einzelne Ideenbringer aus den Unis sind aufgerufen, mit ihren Ideen oder dem bereits erworbenen Know-how einen Beitrag für eine bessere digitale Zukunft zu leisten. Dabei möchten die Hubs möglichst flexibel bleiben, auch für Talente aus dem Ausland. Derzeit gliedert sich die Digital Hub Initiative in zwölf Schwerpunkte, die jeweils Kernkompetenzen der jeweiligen Region widerspiegeln. So gibt es den klaren Medienbezug in Potsdam, während das Hub der Hafenstadt Hamburg sich der Logistik verschrieben hat. Die Bandbreite der Hub-Schwerpunkte mag fast so breit erscheinen wie die Auswahl an spezialisierten Studiengängen. Ob und wie gut das ist, wird die Zukunft zeigen. Das Glas kann halb voll oder halb leer gesehen werden, aber mit etwas Phantasie, kann man es auch einfach digitalisieren und die Zukunft gestalten.

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