Laut UN gibt es weltweit 1.934 Metropolregionen mit mehr als 300.000 Einwohnern. Ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in diesen Gebieten, Tendenz steigend. Prognosen erwarten innerhalb der nächsten 15 Jahre den Zuzug einer Milliarde Menschen in urbane Gebiete. Wer in einer Stadt wohnt weiß, dass vielerorts die Belastungsgrenze bereits erreicht ist. Staus, marode Infrastruktur oder Wohnungsmangel sind nur einige der Folgen des starken Wachstums der vergangenen Jahre. Was muss sich ändern, damit die Lebensqualität in den Städten gehalten oder verbessert werden kann?
Bauen: Es geht an die Substanz
Über 50 % der jährlichen Abfallmenge in Deutschland werden vom Baugewerbe verursacht. Materialien wie Stahl oder Beton haben zudem eine schlechte CO2-Bilanz. Gebaut wird heute in der Regel alles andere als nachhaltig. Um das zu ändern, kann an zwei Punkten angesetzt werden. Zum einen können für Neubauprojekte nachhaltige Baumaterialien genutzt werden. Zum anderen besteht die Möglichkeit, Altbauten energieffizient und ressourcenschonend zu sanieren. Insoweit spielt der natürlich nachwachsende Rohstoff Holz als Baumaterial eine wichtige Rolle. Holz speichert langfristig CO2, ist recycelbar und verfügt über gute Wärmedämmeigenschaften. Es ermöglicht auch das Bauen in die Höhe. . Noch experimentieren Architekten und Wissenschaftler mit den Belastungsgrenzen von Holz und suchen Antworten auf Fragen rund um die Statik hölzerner Wolkenkratzer. Ein japanisches Architekturbüro plant in Kooperation mit einer Baustofffirma bis 2041 das höchste Holzgebäude der Welt zu errichten. Auf 350 Metern sind Gärten und Grünflächen geplant, die Bewohnern und Besuchern, inmitten der weltweit größten Megastadt Tokio, eine Pause im Grünen ermöglichen sollen. In Europa gibt es schon Gebäude aus Holz. In Oslo steht das derzeit mit 85,4 Metern höchste Holzhaus der Welt. Auf 18 Stockwerken sind Apartments, ein Hotel, Büros und ein Schwimmbad untergebracht. Das im Jahr 2019 fertig gestellt Gebäude zeigt, dass nachhaltiges Bauen mit lokalen Ressourcen funktionieren kann.
In Berlin entsteht am Flughafen Tegel eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Hier wird künftig ein Forschungs- und Industriepark in direkter Nachbarschaft zu einem smarten Wohnquartier liegen. Das Besondere daran ist, dass Bausubstanz teilweise erhalten wird und Materialien direkt vor Ort aufgearbeitet und wiederverwendet werden. Und auch hier wird auf Holz gesetzt: Es soll das größte Holzbauquartier der Welt entstehen, das als CO2-Speicher dienen kann. Das Projekt „Berlin TXL“ wird auch in Bezug auf die Energieversorgung zukunftsweisend sein.
Ressourcen nachhaltig nutzen
Die Stadt der Zukunft ist auf ein intelligentes Stromnetz angewiesen, das als „Smart Grid“ bezeichnet wird. Wird ein urbaner Raum über erneuerbare Energien mit Strom versorgt, kann es zu Leistungsschwankungen im Netz kommen. Bleibt es beispielsweise mehrere Tage windstill, produzieren Windräder keinen Strom. Benötigt wird er dennoch. Ein intelligentes Stromnetz kann dies steuern, indem es Erzeugung, Speicherung, und Verbrauch aufeinander abstimmt. Netzbetreiber erhalten über den Smart Grid Daten zu Verbrauch und Erzeugung. Das hilft dabei, die Netzauslastung optimal zu steuern. Denkbar ist auch, dass die Stadt künftig keine zentrale Versorgungseinheit bildet, sondern einzelne Viertel dezentral mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Hier könnte jeder seinen Teil beitragen: Photovoltaikanlagen auf Privathäusern können Sonnenenergie in Strom für den Hauseigentümer umwandeln und die nicht benötigte Energie in das städtische Versorgungsnetz einspeist werden. Elektroautos können während ihrer Standzeiten Strom speichern, der bei Bedarf genutzt werden kann.
Das Pilotprojekt „Berlin TXL“ setzt auf ein weltweit einzigartiges „Low-Exergie-Netz“. Neben der Nutzung erneuerbarer Energiequellen können Bewohner des Quartiers Abwärme wieder in das Leitungsnetz einspeisen. Dafür erhalten sie sogar eine finanzielle Vergütung.
Die Zukunft der Mobilität
Der Individualverkehr ist eines der größten Herausforderungen im urbanen Raum. Deutsche Autofahrer suchen im Schnitt 41 Stunden im Jahr nach einem Parkplatz. Geparkte Fahrzeuge nehmen viel Platz ein, der anderweitig genutzt werden könnte. Viele Menschen sind zu Stoßzeiten unterwegs, was zu Staus und Luftverschmutzung führt. Neue Mobilitätskonzepte, die in vielen Städten schon verfügbar sind, schaffen Abhilfe. Nutzen statt Besitzen ist die Zukunftsdevise. Über das Smartphone kann jeder, wann immer er möchte, das Verkehrsmittel leihen oder nutzen, welches gerade das Richtige für ihn ist. Das entlastet die Straßen und schafft vor allem Platz für grüne Oasen. Autofahrer könnten von intelligenten Parkraumlösungen profitieren. Darüber ist jederzeit einsehbar, wo gerade wie viele Parkplätze verfügbar sind.
Vertikale Mobilität ist ein weiterer Ansatz zur Entlastung der Straßen. Dass Menschen sich mit Hilfe von Flugtaxis fortbewegen, ist aber noch Zukunftsmusik. Firmen haben bereits Testflüge mit Prototypen absolviert und eine Vielzahl an Unternehmen hat mehr als 200 Konzepte und Partnerschaften für die benötigten elektrisch angetriebenen senkrecht startenden und landenden Fluggeräte angemeldet. Bis zur Marktreife der Produkte werden aber wohl noch viele Jahre vergehen. Währendessen ist vor allem die Finanzierung des kapitalintensiven Ökosystems entscheidend. Was mittelfristig in luftiger Höhe stattfinden könnte, ist der Lieferverkehr. Weltweit experimentieren etablierte Unternehmen und Start-ups mit dem Einsatz von Drohnen. So könnten Stadtbewohner sich in Zukunft beispielsweise frische Lebensmittel, die in der Region oder sogar in der Stadt angebaut wurden, liefern lassen.
Mehr Lebensqualität durch Datenanalyse
Wie die Stadt der Zukunft tatsächlich aussehen wird, ist schwer vorherzusagen. Sicher ist, dass sie Daten nutzen wird. In erster Linie werden dies nicht-personenbezogene Daten sein. Mithilfe von Smart Data könnte z.B. das Abfallmanagement effizienter gestaltet werden, indem die Müllabfuhr nur die Container anfährt, die über Sensoren einen hohen Füllstand melden. Strassenlaternen sammeln Daten zu Lärm, Feinstaub und freien Parkplätzen oder ermöglichen Passanten Zugang zum Internet. Intelligente Gebäude können schon heute durch Echtzeitdaten instandgehalten oder bedeutend effizienter betrieben werden.
Auch an den Standorten der Digital Hub Initiative wird zu Themen rund um die “Smart City” geforscht. Die Hubs in Dresden und Leipzig setzen den Fokus auf das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). Die Projekte an den Standorten ergänzen sich untereinander, um aus spannenden Ideen für die Stadt von Morgen innovative Produkte werden zu lassen. In Dresden werden technologische Grundlagen geschaffen: Hardware, Software und Konnektivität ermöglichen die Umsetzung der Ideen aus dem Leipziger Hub. Dort wird an Aspekten einer intelligenten Infrastruktur gearbeitet, beispielsweise in den Bereichen E-Health, Energie oder auch Querschnittstechnologien.
Deutschlandweit gibt es über 150 nachhaltige Digitalisierungsprojekte in intelligent vernetzten Kommunen. Über den Smart City Navigator des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz können Projekte zu Themen wie Mobilität, Bürgerbeteiligung und Digitalisierung entdeckt werden.
Die Stadt der Zukunft ist vielschichtig
Viele Städte wissen, dass sie mit Herausforderungen konfrontiert sind und haben die Transformation hin zu einem zukunftsfähigen Lebensraum bereits in Gang gesetzt. Die Implementierung von Technologien trägt zu einer langfristigen Erhöhung der Lebensqualität ebenso bei wie die Umgestaltung des städtischen Lebensraums und die Erschließung von mehr grünen Erholungsflächen. In Saudi-Arabien soll eine Planstadt entstehen, die in einer geraden Linie von 170 Kilometern Länge von der Küste bis ins Landesinnere verläuft. Der Verkehr wird komplett unterirdisch ablaufen. Jeder Bewohner soll in weniger als fünf Minuten von seinem Zuhause aus die Natur und wichtige Einrichtungen des öffentlichen Lebens erreichen können. Ob dies ein realisierbares Modell für die Stadt der Zukunft ist oder eine futuristische Vision bleibt , wird sich zeigen.
Quellen:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bauen-nachhaltigkeit-geywitz-buch-1.5612685
https://www.ecowoman.de/haus-garten/bauen/mehrfamilienhaus-aus-holz-preisgekroentes-holzhaus-in-den-niederlande-5344
https://www.rolandberger.com/en/Insights/Publications/Urban-mobility-The-new-battleground-for-the-traveler.html
https://www.rolandberger.com/en/Insights/Publications/Looking-at-the-future-of-urban-air-mobility.html
https://www.enbw.com/blog/wohnen/wie-werden-wir-in-der-stadt-der-zukunft-leben/
https://www.iosb-ina.fraunhofer.de/de/geschaeftsbereiche/future-city-solutions.html
https://www.youtube.com/watch?v=iOFrf5TTruo
https://www.youtube.com/watch?v=ICqBErbY-Qc
https://www.freiheit.org/de/deutschland/smart-city-fuer-ressourceneffizienz
https://www.neom.com/en-us/about
https://inrix.com/press-releases/parking-pain-de/
https://www.hausvoneden.de/urban-living/projekt-berlin-tegel-interview-philipp-bouteiller/
https://zukunft-berlintxl.de/gut-zu-wissen/was-ist-das-lowex-netz/
https://www.hausvoneden.de/technology/zirkulaere-staedte-zukunftsmodell/
https://www.mdr.de/wissen/die-hoechsten-holzhochhaeuser-100.html
https://www.dbz.de/artikel/dbz_Plyscraper_W350_Holz-Hybrid-Hochhaus_in_Tokio_3610577.html
https://1e9.community/t/hoch-bauen-aber-mit-holz/2317
https://unhabitat.org/annual-report-2021
https://www.porsche-consulting.com/de/medien/publikationen/detail/studie-the-economics-of-vertical-mobility/
https://www.spiegel.de/netzwelt/amazon-testet-lieferungen-per-drohne-in-stadt-in-kalifornien-a-24d09966-1b18-4047-b0c0-14cc0a146f65